Frank Wedekind – Ein Dichter in der Werbung, der mit Texten dazu beitrug, aus einer Speise ein Gedicht zu machen

„Ich gehe jetzt in ein kleines, geheiztes Comptoirchen, setze mich mit dem Rücken an den Ofen – kreuze die Beine unter dem Tisch – zünde mir diese Pfeife hier an und schreibe – … solche Reclamescherze … mein Chef ist sehr zu frieden – es geht durch den Inseratenteil aller möglichen Zeitungen: und was die Hauptsache ist: da summt mich keine Hummel an.“ So hat Gerhart Hauptmann die Erlebnisse des jungen Frank Wedekind in seinem naturalistischen Stück „Das Friedensfest“ verarbeitet. Wedekind steckte in einer tiefen Familienmisere, als er Gerhart Hauptmann sein Herz ausschüttete. Was war geschehen?

Frank Wedekind – 1864 bis 1918 – war Sohn eines wohlhabenden Hannoveraner Arztes, der Schloss Lenzburg in der Schweiz kaufte und dort seit 1872 mit seiner Familie lebte. Der zweitälteste Sohn Franklin sollte in München Jura studieren. Aber es war ein ungeliebtes Studium. Der junge Mann fühlte sich mehr zur Dichtkunst hingezogen, und so kam es zum Eklat: Der Vater entdeckte, dass sein Sohn entgegen seinem Gebot Jura zu studieren, die Studiengelder nicht für das Hochschulstudium sondern für Kneipen- und Theaterbesuche verwendete. Bei einer der heftigsten Auseinandersetzungen im Familienkreis auf Schloss Lenzburg schlug der Sohn dem Vater ins Gesicht, worauf dieser ihn des Hauses verwies und ihm die Apanage strich. Von einem Moment zum anderen war der 23jährige Student mittellos und musste nun einen Weg finden, sein Brot selber zu verdienen. Durch Vermittlung des Dichters Karl Henckell, dessen Bruder in Lenzburg eine Konservenfabrik besaß, lernte Frank Wedekind den Unternehmer Julius Maggi kennen, der ihn ohne zu zögern sofort als Leiter seines neu gegründeten Reclame- und Pressebüro einstellte.

Man schrieb das Jahr 1886, und Julius Maggi hatte gerade seine ersten kochfertigen Suppen und die Suppen-Würze erfunden, die seinen Namen in aller Welt bekannt machen sollte. Als weitsichtiger Geschäftsmann wusste Maggi schon früh um den Nutzen und die Notwendigkeit einer wirksamen Werbung für seine Produkte, zumal er bereits 1885 auf der ersten schweizerischen Kochkunstausstellung für sein neues Industrieprodukt – die „Erbs-Teigwaaren-Suppenmehle“ – die höchste Auszeichnung, das „Diplom erster Classe“ erhalten hatte. In Inseraten wurde die Erfindung dieses Fertigproduktes, das eine Revolution der Esskultur auslösen sollte, auch dem einfachen Volk vorgestellt: Es war das erste Volksnahrungsmittel, „nahrhafter als Fleisch, dabei leicht verdaulich, sehr billig und rasch zubereitet…“ Und so dichtete Wedekind: „Das wissen selbst die Kinderlein: Mit Würze wird die Suppe fein. Darum holt das Gretchen munter, die Maggi-Flasche runter.“

Die Botschaft wurde gehört. Allein, nun musste der Glaube an das neue Produkt gepredigt, musste das Lob der neuen Erbs-Teigwaaren und der Suppenwürze verkündigt werden. Zwar konnte Maggi nicht ahnen, dass er mit der Einstellung des verkrachten Jurastudenten Frank Wedekind und unbekannten Lokaldichters, einen Mann einstellt, den spätere Generationen zu den wichtigsten deutschen Dramatikern der Jahrhundertwende rechnen würden, aber er ahnte, das nur Poesie allein die nüchterne Suppennahrung der Hausfrau nahe bringen und verklären konnte. Poesie war das Massenmedium jener Epoche. Jedermann dichtete im Zeitalter des Bildungsbürgertums.

„Dichten war wie Kreuzworträtsellösen“, schreibt Frank Wedekinds Jugendfreundin, Sophie Haemmerli-Marti in ihren Erinnerungen. Man las Poesie im Familienkreis und um den Mittagstisch. Und was lag näher, als unter die gefühlsinnigen Herz/Schmerz-Gedichte, die das Suppen essende Zielpublikum in Rührung versetzte, einige diskrete Fingerzeige auf ein neues Würzmittel zu richten? Gelang es dann noch den Zeitgeist im Suppentopf zu etablieren – voilá! Die Suppenwürze konnte Karriere machen und hielt Einzug auch in männliches Denken:

„Vater, mein Vater! Ich werde nicht Soldat, die weil man bei der Infantrie nicht Maggi-Suppe hat.“ – „Söhnchen, mein Söhnchen! Kommst Du erst zu den Truppen, so isst man dort auch längst nur Fleischconservensuppen.“

Und ganz nebenbei wurde mit der Einstellung Frank Wedekinds das neue Berufsbild des Werbetexters geschaffen, dessen Pionierarbeit ein Dichter leistete.

Für Wedekind selbst aber war dieser neue Job alles andere als einfach. Er schrieb: „Ich schreibe von früh bis spät in meiner Mansarde Leitartikel über frische Rebhühner, um mir abends meinen Thee mit einer Wurst verherrlichen zu können.“ Aber er lernte schnell, (um Brecht zu zitieren) „wie man den Menschen in jenen unnatürlichen Zustand versetzt, in welchem er bereit ist, Geld herzugeben.“ Und das bei einem Patron wie Julius Maggi!

Wedekind ist sich bewusst, dass er auf einem Grad zwischen Erhabenen und Lächerlichem einen Eiertanz vollführt. Die literarischen Zitate, mit denen er seine kurzen Episoden beginnen lässt, entlehnt er den Klassikern, Goethe, Schiller, Heine, Jean Paul, Kleist oder Büchner. Mit Augurenlächeln spricht er den bürgerlichen Zeitgenossen auf eine technische Spitzenleistung der Epoche an: die Fertigsuppe und ihre unvergleichliche Würze, und auch Sprüche aus der Bibel sind ihm recht: „Ihr sollt nicht sorgen!“ denn die Pointe weiß immer, das es „Suppennahrung im Schranke hat…“ und so bemüht er „die Macht des Gesanges“ genauso wie er warnt: „Viele Köche verderben den Brei“, oder Schiller zitiert: „das Leben ist der Güter höchstes nicht“, wenn er am Ende immer wieder feststellt, dass es ja auch noch Maggis Suppen und Speisewürze gibt… Lesen wir einmal seine Lobeshymne auf

„DIE KLUGE HAUSFRAU“

Ihr Herz ist erfüllt von Liebe zu ihrem Gatten und mit den Kindern freut sie sich und leidet sie, als wäre sie noch mit jedem ein Fleisch und ein Blut. Im Haushalte ist sie Fürst und Feldherr zugleich; ihr offenes Auge wacht über das Gesinde, und die Küche trägt den Stempel ihres Geistes. Ordnung und Umsicht sind die Stützen ihres Thrones. Sie schätzt das Alte und weiß es voll Ehrfurcht zu bewahren. Das Neue prüft sie bedächtig und zieht es nach Gutfinden in ihren Wirkungskreis…“

Wedekind lernt unter seinem Chef sich dem Zeitgeist anzupassen und die Eitelkeit seines Zielpublikums zu hofieren. Und er weiß um die geheimen Sorgen und Ängste der jungen Frauen, und er versucht sie ihnen zu nehmen:

„Wenn der Kochkurs nicht wäre“ seufzte das siebzehnjährige schlanke, schwarzäugige Engelskind, „so wollt ich so gerne heiraten. Aber er wünscht durchaus, dass ich vorher einen Kochkurs nehme. Wie, wenn ich nicht sein Weib sondern seine Köchin werden sollte? O, dieser Männer!“ – „Elschen, beruhige dich!“ sagte darauf die verständige Mutter. „Das Notwendigste will ich dir schon beibringen, dann würzest du ihm jeden Mittag das Gericht mit diesem Fläschchen hier. Pass mal auf, was der für Augen machen wird. Täglich gibt er dir zwei Küsse mehr dafür – es ist nämlich Maggi’s Suppen- und Speisewürze.“

Rund 160 Werbetexte schrieb Wedekind für Julius Maggi und ebnete so dem neuen Produkt den Weg in die Küchen – aber ob er sie alle bezahlt bekommen hat? Der Unternehmer entlohnte seinen Dichter im Stückpreis, aber nur, wenn er die Texte, die er persönlich redigierte und mit Zensuren, wie „vortrefflich“, „famos“, „gut“, „ziemlich ordentlich“ oder aber mit „ungenügend“ versah. Erst dann hatte er sie als Reclame für seine Produkte akzeptiert.

Am 25. Mai 1887 teilt Maggi Wedekind schriftlich mit, dass er (Wedekind) selbst dafür sorgen müsse, dass die von ihm verfassten Artikel, darunter der längere Aufsatz „Culturhistorische Plauderei“, in entsprechenden Tageszeitungen zu erscheinen hätte. Erst nach Veröffentlichung werde er dafür bezahlt. Maggi schreibt: „Was die kleineren Artikel betrifft, so wollen wir gerne zugeben, dass es nicht eine leichte Arbeit sei, doch belieben Sie nicht außer Acht zu lassen, dass wir dieselben einstweilen nur auf Vorrath nehmen, es sind einzig die allerersten wenigen, welche s.Z. publiziert wurden. Wir wollen Ihnen jedoch, um Ihnen entgegenzukommen, das Honorar von frs.1,- auf frs. 1,50 p. Stück erhöhen und hoffen Sie damit zufrieden zu stellen.“

Um überleben zu können, musste Wedekind „marktgerecht“ schreiben, unter Druck und im Akkord. Seine Phantasie wurde auf den Erfahrungshorizont eines ganz bestimmten Zielpublikums hin kanalisiert. Er lernte dieses zu fürchten und zu verachten, und er erkannte, dass an jedem Gehirn ein Magen hing: Erst kam das Mittagessen und dann die Poesie. Wedekind erkennt, das auch Dichtkunst nach Brot geht.

Im Januar 1887 bekommt Maggi anlässlich der internationalen Kochkunstausstellung der Stadt Leipzig die goldene Ehrenmedaille verliehen. Lorbeer und Gold für die Suppe. Und für den Dichter? Er beschreibt es in der

„Schriftstellerhymne“

Der Schriftsteller geht dem Broterwerb nach,
mit ausgefransten Hosen.
Er schläft sieben Treppen hoch unterm Dach,
mit ausgefransten Hosen.

Schöner grüner, schöner grüner Lorbeerzweig,
der dich neckt und die Stirne bedeckt,
wenn der Lump verreckt,
mit ausgefransten Hosen.“

„Zweifellos aber“, so stellt Rolf Kiesler in einem Aufsatz über den Dichter fest, „waren Maggis Reklamevorschriften für den jungen Dichter eine strenge Lehre, eine Lektion im Umgang mit prüden Bürgerseelen, bei denen die Suppe pikant sein durfte, solange sie nur proper roch. Dasselbe galt für die Werbung. Die Priorität der „Message“ über die Aussageform führte schließlich zu Wedekinds Personalstil, zu jener charakteristisch Wedekindschen innerweltlichen Frömmigkeit, zu jenem Fundamentalismus der Sinne, der im untadeligen Bratenrock auftritt und raunt: „Das Fleisch hat seinen eigenen Geist.“ Und obwohl er – oder wohl deshalb? – über ein Jahr das Lob der Fertig-Suppe und ihrer Würze verkündete, er selber hatte eine tiefe Abneigung gegen Suppen, egal von welcher Art sie auch waren. Er hielt es mit einem Veliner, einer Weißwurst und Leberkäs, und wenn die Geldbörse gefüllt war, mit Kalbshaxen oder Kalbs-Geschnetzeltem mit Rösti aus rohen Kartoffeln. Aber solche Spezialitäten konnte er sich erst wieder öfter leisten, als sein Lehrjahr bei Maggi vorbei war, er sich im September 1887 mit seinem Vater versöhnte und seinen Dienst bei Maggi aufgab. Er nahm sogar das Jurastudium bis zum Tod des Vaters – ein Jahr später – wieder auf. Dann aber wurde er endgültig der respektlose Lyriker und rebellische Sänger bitterböser Balladen und zynischer Chansons gegen das Spießbürgertum und der berühmt-berüchtigte Dichter von „Frühlings Erwachen“, „Erdgeist“, „Die Büchse der Pandora“, „Der Marquis von Keith“ und anderer für jene Zeit schockierender, heiß umstrittener Dramen, von denen viele bis heute nichts von ihrer Aktualität verloren haben. Seine Liebe zu Gaumen- und Sinnesfreuden aber blieb ungebrochen und ist nachzulesen in der spätherbstlichen „Ernährungsballade“, die er für den „gebildeten Gaumen“ seiner Fin-de-Siècle-Leser komponierte und die in ein Lob der guten Verdauung einmündet. Es ist eine sehr private und sehr handfeste Reminiszenz an Erbsensuppen, die im Autor wohl nostalgische Gefühle an die Jahre 1886/87 wachgerufen haben.

Die Ernährungsballade

Genieße was die Jahreszeit mit sich bringt:
Radieschen, Erdbeeren, grüne Erbsen und Pflaumen;
was der Veränderung in Sonne und Luft entspringt,
ist stets das Beste für deinen gebildeten Gaumen.

Radieschen knackt man, wenn man noch jung und keusch
und sich noch die ersten Zähne nicht ausgebissen;
die prallen Bäckchen zerbersten mit lautem Gekreisch,
die Zunge schwelgt in unsäglichen Bitternissen.

Erdbeeren aus Wald und Garten, wie duften sie fein!
Die großen voll Saft, die kleinen sind mir noch lieber;
ich mache sie trunken zuvor mit gezuckertem Wein,
Pechvögel nur erkranken am Nesselfieber.

Die grünen Erbsen brauch ich schon gar gekocht;
die tolle Jugend allein frisst sie aus den Schoten.
Ich habe sie stets nur gepfeffert zu kosten vermocht,
und neuerdings auch hat sie der Arzt mir verboten.

Die üppigen Pflaumen des Herbstes genieß ich fast nur
als Mittel zum Zweck bei unbehaglicher Stauung
im Unterleib statt Karlsbader Brunnenkur;
es grölen die Därme im Chor den Gesang der Verdauung.

Noch manches wäre notwendig hier beigedruckt,
wie Mammut-Trüffeln, die aus Thessalien stammen;
doch hab ich den ganz Hymnus schon voll gespuckt,
so läuft mir dabei das Wasser im Munde zusammen.

Die deutsche Hausfrau…
ist das Ideal unter den Hausfrauen.
Die Französin ist bekanntlich kokett,
die Engländerin langweilig
und die Amerikanerin anspruchsvoll.
Dabei besitzt keine von ihnen die Seelen-Tiefe des deutschen Weibes, die es diesem ermöglicht, dem Gatten etwas mehr als Geliebte und Haushälterin zu sein.
Der deutsche Mann…
im Allgemeinen bedarf auch einer derartigen Ergänzung seines Wesens;
er ist zu theoretisch, zu gelehrt, um allein durch die Welt zu kommen.
Kann er sich doch in den seltensten Fällen die Cravatte selber binden, geschweige denn eine Suppe kochen.

Text: Iris Schatz
Fotos: Maggi-Archiv

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