Georges Simenon: Auf den Spuren von Kommissar Maigret

Nun wird der gute Georges Simenon, der Erfinder des Pariser Kriminalkommissars Maigret, posthum auch noch ein Musical- Star, als Partner der legendären Josephine Baker. Da war im Jahr 2003 im September in Lüttich Welturaufführung. Dort, wo Simenon 1903 geboren wurde und eine ganze Stadt ihres prominenten Sohnes in unzähligen Aktionen voller Stolz und “wohligem Schauer“ gedachte. Das Musical, das auch an die leidenschaftliche Affäre der beiden erinnert, war damit das i-Tüp-felchen auf einem großen “Simenon-Jubel-Jahr“.

George Simenon – wer kennt ihn nicht? Sein Krimi-Held Maigret war selbst Winston Churchill, Charly Chaplin und sogar Mao ein Begriff. Denn die Krimis wurden in fast alle Kultursprachen übersetzt. Es gibt sie in Chinesisch, in Russisch, Kirghisisch und angeblich sogar in Esperanto. Außerdem wurden die Romane über 50 mal in der verschiedensten Ländern verfilmt. In den Hauptrollen so prominente Schauspieler wie Jean Gabin, Charles Laughton, Heinz Rühmann und Michael Gambon. Erfolgreichster “Maigret“ aber war wohl der französische Schauspieler Jean Richard. In 92 Episoden spielte er den Kommissar, im Kino wie im Fernsehen. Von 1964 bis 1990. Simenon hatte ihn persönlich für die Rolle ausgesucht.

Kein Wunder, dass die Stadt Lüttich den 100.Geburtstag ihres weltbekannten Sohnes ausgiebig feierte. Obwohl der die meiste Zeit seines Lebens gar nicht zu Hause verbrachte, sondern in Frankreich, Amerika und der Schweiz.
Und trotzdem: In Lüttich gab es in dankbarer Erinnerung gleich ein halbes Dutzen Ausstellungen. Da wurden Comics und Originaldrehbücher gezeigt, da gab es unzählige Fotos über die Fluss- und Kanalreisen von Georges Simenon, Trödelmärkte mit Büchern und Plakaten, Tauschbörsen, Pfeifen-Ausstellungen. Da fanden Klang- und Lichtspiele mit Simenon-Themen auf Lütticher Fassaden und ein Straßentheater statt. Über 100 Restaurants präsentieten Rezepte von Madame Maigret. Der Clou aber war das gewaltige Ausstellungszelt im Herzen der Stadt und das erwähnte Musical sowie die offiziellen Rundgänge durch Lüttich:

„Auf den Spuren von Georges Simenon“.
Der gute George – er war ein Frauenheld. Ein Fremdgänger “wie er im Buche steht …“ Laut dem Geburtsregister wurde Georges Joseph Christian Simenon am 14. Februar 1903 in der belgischen Industriestadt Lüttich geboren. Glaubt man einer Anekdote, kam der kleine Simenon aber schon am 13. Februar zur Welt. Da es sich dabei jedoch um einen Freitag handelte, soll seine abergläubische Mutter den Geburtstermin auf den 14. Februar verlegt haben.
Zunächst deutete nichts darauf hin, dass der Sohn einer katholischen Flämin und eines Wallonen zum auflagen-stärksten und meistgelesenen Autor unserer Zeit werden sollte. Die Simenons lebten in kleinbürgerlichen Verhältnissen im Stadtteil Outremeuse, der heute als “Arme-Leute-Viertel“ gilt.
Der Vater Désiré Simenon war ein fleißiger und bescheidener Mann. Er arbeitete als Buchhalter bei einer Versicherungsgesellschaft, was ihm nur ein geringes Gehalt einbrachte – sehr zum Leidwesen seiner Frau Henriette, die unter der angespannten, finanziellen Situation litt.
In “Lettre ä ma mre“, einem seiner persönlichsten Werke, beschrieb Simenon, wie sehr er sein ganzes Leben unter der Gefühlskälte seiner Mutter, die wohl Ausdruck ihrer Frustration über das ärmliche Leben war, gelitten hatte.
Der frühe Tod des Vaters verschlechterte die Lage der Familie Simenon zunehmend. Der junge Georges musste eine Lehre als Konditor anzutreten. Diverse Versuche, den richtigen Beruf zu finden, folgten, bis er mit 17 seine wahre Berufung im Schreiben fand. Es entstand sein erster Roman “Au Pont des Arches“, der 1921 veröffentlicht wurde.
Zusätzlich arbeitete er als Reporter bei der Lütticher Tageszeitung “Gazette de Liège“. Hier verfasste er vor allem Polizeiberichte und beschäftigte sich in diesem Rahmen intensiv mit den Schicksalen der “einfachen Leute“. So sehr Simenon auch immer das Schicksal des „kleinen Mannes“ am Herzen lag, fühlte er sich vom provinziellen Milieu Lüttichs doch zunehmend eingeengt.
Mit 19 nahm Georges Simenon endgültig Abschied von seiner Heimatstadt und bestieg am11.12.1922 den Zug nach Paris. 1923 folgte ihm seine Verlobte Regine Renchon, eine Malerin, die er in Lüttichs Künstlerszene kennen gelernt hatte. Das Paar heiratete noch im selben Jahr.
Obwohl sich Simenon auch in Paris zunächst mehr schlecht als recht mit Gelegenheitsjobs durchschlug, war er begeistert vom pulsierenden Leben der Weltstadt und mischte sich schnell in die Kreise der Pariser Bohme. Bald zählte er so prominente Persönlichkeiten wie die Schriftstellerin Colette und die Tänzerin Josephine Baker, mit der er sogar für kurze Zeit ein Verhältnis hatte, zu seinem Bekanntenkreis.
Das ausschweifende Leben in der Pariser Künstlerszene hinderte Simenon allerdings nicht, ein schier unglaubliches Arbeitspensum zu bewältigen. Er hatte schon in Lüttich wie besessen geschrieben, aber in seiner Pariser Zeit tippte er 80 Schreibmaschinenseiten pro Tag, zumeist Kurzgeschichten und Groschenromane, die er unter diversen Pseudonymen veröffentlichte. Simenons „Schreibwut“ wurde legendär. Zwischen 1924 und 1937 hat er mehr als 180 Groschenromane und 1000 Kurzgeschichten verfasst. Um einen Roman zu schreiben, benötigte er elf Tage, für einen Maigret sogar etwas weniger.
Seine weltweite Gesamtauflage beläuft sich heute nach Schätzungen auf eine halbe Milliarde. – Durch seine enorme Produktivität verbesserte sich die finanzielle Situation der Familie Simenon Anfang der 30er Jahre zusehends.
Im Laufe der Jahre bereiste der Autor, der seine Erlebnisse in Reisereportagen festhielt, Afrika, Indien und die Türkei. 1929 ließ Georges Simenon das Segelschiff L‘Ostrogoth bauen, um mit diesem zwei Jahre lang Richtung Norden zu segeln. Die Reise führte ihn nach Belgien, Holland, Norwegen, nach Lappland und Deutschland und sollte schicksalhaft werden.
Während eines Aufenthalts im kleinen niederländischen Ort Delfzijl schrieb er den Roman “Pietr-le-Letton“ und schuf die Figur, die seinen Weltruhm begründen sollte. Es war die Geburtsstunde des Jules Amédée Maigret.

Simenons Verleger war begeistert und forderte ihn auf, so viele Maigret-Romane zu schreiben, dass man sie ab 1931 monatlich veröffentlichen könnte. Durch den Kommissar Maigret wurde Simenon, der zuvor von seinen Groschenromanen schon in relative- An seinem ruhelosen, unsteten Lebenswandel änderte das allerdings nichts. Die Simenons zogen 1931 von Paris nach Antibes, um nur ein Jahr später ein imposantes Herrenhaus in La Rochelle zu mieten. Dort wurde auch Simenons erster Sohn Marc geboren.
Die Ehe mit Regine konnte das nicht retten. Als Regine erfuhr, dass Simenon schon seit Jahren eine Affäre mit Boule, dem gemeinsamen Dienstmädchen, hatte, trennte sie sich von Simenon. Allerdings lebten sie noch jahrelang gemeinsam unter einem Dach. Und als der Schriftsteller nach dem Krieg 1945 in die USA umsiedelte, begleiteten ihn sowohl Regine und Marc, als auch die Geliebte Boule.
1955 kehrte Simenon mit seiner Familie nach Europa zurück. Die Ankunft in Frankreich war für Simenon triumphal:
Inzwischen weltberühmt geworden, wurde er als Autor begeistert gefeiert. 1956 ließen sich die Simenons endgültig in Lausanne nieder. Georges Simenon kaufte, nach mehr als dreißig Wohnungswechseln, eine riesige Villa am Genfer See, die er mit allem erdenklichen Luxus ausstatten ließ.
Nach eigenen Angaben musste er die Protagonisten seiner Werke nie erfinden. Sie waren ihm alle während seiner Kindheit in Lüttich und später in der französischen Provinz begegnet. Obwohl Georges Simenon zu seiner Heimatstadt Lüttich ein sehr ambivalentes Verhältnis hatte, sollte sie und ihre Menschen für ihn immer prägend bleiben. Die Helden seiner Romane entstammten, wie er selbst, fast immer der petite bourgeoisie. Es waren die Händler, Prostituierten, Drogendealer und die einfachen Pensionäre, aus dem Lütticher Stadtteil Outremeuse, die Simenon als Vorlage für seine Romanfiguren dienten.
Simenon litt darunter, dass die Kritiker ihn allzu oft als reinen “Krimi-Autor“ verkannten. Dafür würdigten ihn seine Kollegen umso mehr. Literarische Größen wie Faulkner und Hemingway zollten ihm Respekt. Zu seinen größten Bewunderern und Freunden zählten der Nobelpreisträger André Gide und der Regisseur Federico Fellini.
Gide war für Simenon väterlicher Freund und Ratgeber. mit Fellini dagegen verband Simenon über Jahrzehnte hinweg eine Art Seelenverwandtschaft. Der Regisseur bewunderte den Autor gleichermaßen für dessen künstlerische wie sexuelle Potenz, hatte doch Simenon in einem Briefwechsel mit Fellini gestanden, in seinem Leben mit mehr als 10.000 Frauen geschlafen zu haben.
Georges Simenon starb am 4.September 1989 mit 86 Jahren in seinem Haus in Lausanne. e.g./C. Dörr

Auch Paris lockt mit Maigrets Spuren
Für Paris-Besucher gibt es ebenfalls Tourenvorschläge, um auf den Spuren Maigret‘s zu wandeln. Im Mittelpunkt einer Tour steht die Arbeitswelt von Kommissar Maigret rund um den “Quai des Orfvres“, wo sich auch heute noch das zentrale Polizeipräsidium von Paris befindet. Herzstück einer weiteren Tour ist das Maraisviertel. Hier wohnten Kardinal Richelieu und Victor Hugo, Georges Simenon und Maigret. Und auf dem Montmartre findet auch eine Tour statt. – Eine Führung dauert ca. 2/3 Stunden.
lnfos:
Tel.: 0033 -1 47 09 22 45,
e-mail: aigreim@aol.com

Weitere Fotos:
Georges Simenons Geburtshaus in der Rue Léopold 26, wo er die ersten zwei Lebensjahre verbrachte – Von Flamenc – Selbst fotografiert, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=3574670
Die Kritik von Colette, hier in einem Bild von 1932, prägte Simenons Stil.
Agence de presse Mondial Photo-Presse – Bibliothèque nationale de France
French writer Colette (1873-1954) by her balcony – gemeinfrei
https://de.wikipedia.org/wiki/Georges_Simenon#/media/File:Colette_1932_(4).jpg
https://de.wikipedia.org/wiki/Georges_Simenon

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