Österreich-Urlauber, die sich im Salzburger Land aufhalten, und einmal nicht richtig wissen wie ihr Tagesprogramm aussehen soll, sei hiermit ein Wink gegeben. Wandeln Sie einmal auf den Spuren von Carl Zuckmayer rund um den Wallersee bei Henndorf. Denn dort hat einer der erfolgreichsten deutschsprachigen Autoren überhaupt einen ganz wesentlichen Teil seines Lebens verbracht. Und die Spuren sind noch deutlich.
Zuckmayer, der im Dezember 1896 in Nackenheim am Rhein geboren wurde und 1977 in Visp, im Schweizer Wallis, gestorben ist, war den Nationalsozialisten eines Tages so unbequem geworden, dass sie ihm in Berlin Auftrittsverbot erteilten und ihn so mehr oder weniger zwangen, neue Wege zu gehen. So zog sich Zuckmayer zum Arbeiten nach Henndorf zurück, wo er schon Jahre zuvor (1926) ein „verträumtes Haus“ gekauft hatte, in Henndorf am Wallersee, 15 km von Salzburg entfernt.
Dort lebte er mit seiner Familie schließlich zwölf Jahre lang. Bis er 1938 auch von dort die Flucht ergreifen musste. Bis dahin aber genoss er das ländliche Leben, die Herzlichkeit der Menschen und die Freundschaft prominenter Kollegen. Denn Henndorf, besser gesagt der Gasthof „Bräu“, war zu jener Zeit so etwas wie ein Promi-Treff für Literaten. Hier im Schankraum am grünen Kachelofen kamen sie zusammen, die Musikanten, Dichter, Schauspieler und Sänger. Ob Stefan Zweig, Richard Mayr oder Ödöm von Horvath. Hier tranken sie ihr Bier (und nicht zu knapp) und verzehrten eine Zuckmayer-Jause, die es auch heute noch gibt.
Wer vom Wolfgangsee nach Henndorf reinfährt, findet das Gasthaus in Ortsmitte auf der Hauptstraße, unübersehbar auf der rechten Straßenseite. Hier lebte Zuckmayer ein Jahr lang, weil die Wiesenmühl, nur wenige Geh-Minuten entfernt, erst noch renoviert werden musste.
Wer Henndorf besucht, kann in Zuckmayers Zimmer übernachten, in seinem schweren hölzernen Himmelbett schlafen. Es ist noch alles wie vor 65 Jahren. Er kann in der rustikalen Gaststube an „Zuck’s“ Stammtisch Platz nehmen und sich – wenn er Glück hat – erzählen lassen, wie es denn damals an dieser Stelle zugegangen ist. Und es überkommt ihn ein ganz eigenartiges Gefühl, so als sei er plötzlich engagierter, jedoch stiller Teilnehmer eines außerordentlichen Zeitgeschehens.
„Dort saßen sie, an dem großen Tisch. Der Ödön von Horvath, der Kammerspieler Paul Hofmann, Fritz Eckert, der Billinger, Max Reinhardt und Richard Mayr und viele, viele andere. Und Carl Mayr, Bruder vom Richard, Maler und Inhaber des Hauses, machte sich einen Spaß daraus, talentierten Nachwuchs auf seine Weise zu fördern. Wer auch immer in dieser Zeit nichts zu Beißen hatte, durfte im Bräu Platz nehmen und wurde dort beköstigt, mit der Auflage, jeden Tag eine Geschichte zu schreiben. Die musste er dann am Abend in Anwesenheit aller ehrenwerten Kollegen vorlesen. Da gab’s dann vielleicht ein Hallo…., viel Kritik, viel Gelächter, aber auch viel Lob. Und der junge Autor sammelte so seine Erfahrungen.“ Hier im „Bräu“ hat auch Zuckmayer heftig an seinem „Schinderhannes“ gearbeitet, ihn mehrmals umgeschrieben.
Zuckmayer war zu der Zeit 28 Jahre alt, gerade geschieden, neu verliebt und mit dem Kleist-Preis sowie reichlich Tantiemen seines erfolgreichen Bühnenstücks „Der fröhliche Weinberg“ ausgestattet. Zuckmayer hatte zum erstenmal richtig Geld verdient, konnte alle Schulden bezahlen und sich eben diese Wiesenmühle leisten. Ein großes Haus mit einem noch viel größeren Garten, an einem breiten Bach gelegen. Auch dieses Haus kann heute nach Absprache besichtigt werden. Am Carl-Zuckmayer- Weg 25, wo es vor etwa 70 Jahren eines abends an der Gartenpforte schellte und eine scheinbar ziemlich heruntergekommene Person Einlaß begehrte. Vom damaligen Kindermädchen der Familie Zuckmayer ist überliefert: „Frau Zuckmayer, da steht ein merkwürdiges Individuum vor der Gartentür. Mit einem großen Hut auf dem Kopf, dass man das Gesicht nicht sehen kann, und in einem viel zu großen Anzug. Sollen wir den wirklich reinlassen?“
Alice Zuckmayer soll gelacht haben. Sie öffnete persönlich und nahm die „unheimliche Person“ liebevoll in den Arm. Es war Marlene Dietrich, die im nahen St. Gilgen am Wolfgangsee gerade Station machte und ihren lieben Freund besuchen wollte. Auch um seinen Einfluß zu nutzen. „Zuck“ sollte ihr zu einem preiswerten Hotelzimmer verhelfen…
Auch Stefan Zweig zählte wiederholt zu den Besuchern in der Wiesmühle. Zweig hatte den Zuckmayers zum Einzug die Hunde „Flick“ und „Flock“ und einen grünen Kachelofen geschenkt. Die großen Hunde überlebten auch Zuckmayers Flucht, den Krieg und die Nachkriegszeit. Carl Zuckmayer traf sie später wieder.
Zuckmayer fühlte sich in dem kleinen Dorf am Wallersee ausgesprochen wohl. Er war kontaktfreudig, in Gasthäusern sehr gesellig, wenn auch gern ein einsamer Wanderer. Am See nutzte er das Badehäuschen seines Freundes Mayr. Dort stieg er auch schon mal ins Wasser, wenn das nach einem vorangegangenen Biergenuß nicht so angebracht schien.
Und dann kam es zu jener Episode, die authentisch nicht belegt ist, aber sehr gern und sehr glaubwürdig immer wieder erzählt wird: Zuckmayers Flucht vor den Nationalsozialisten. Das war an einem Abend 1938.
Ein Zuckmayer wohlgesonnener Gendarme hatte schon häufiger gewarnt: „Herr Zuckmayer, geben Sie Acht auf sich, man ermittelt gegen Sie.“ Zuckmayer erkannte die Gefahr, schickte Frau und Tochter nach Wien und hielt fortan stets ein Köfferchen bereit, vollgepackt mit viel Manuskripten und persönlichen Kleinigkeiten.
An jenem Abend nun kamen die Häscher, doch Zuck blieb sehr gelassen: „Es kommt doch vielleicht auf ein Stündchen nicht an. Lasst uns doch den Wein, den ich jetzt im Keller zurücklassen muss, nicht versauern. Leeren wir doch noch ein, zwei Fläschchen…“
Gesagt, getan, und als alle mal aufs Örtchen mussten, tat es Zuckmayer ihnen nach, ergriff sein Köfferchen, ließ sich vom Balkon herab und über den Wallersee rudern und entkam Richtung Wien. Von dort gelang ihm später die Flucht in die Schweiz und nach Amerika.
Mit dem Tourismusbüro von Henndorf kann man seit Jahren auf den Spuren von Carl Zuckmayer wandern. Die dreistündige Tour führt durch den Ort und zum See, an der Teufelsmühle vorbei zur Brechmühle, wo Zuckmayer damals sein frisches Schwarzbrot kaufte. Und weiter zur Riedermühle bis zur Wiesenmühl, heute im Besitz der Witwe Emilie Kwisda. Der Weg endet – ist doch klar – in der Wirtsstube am Stammtisch Zuckmayers im „Bräu“, wo ein Seidl Bier und Zuckmayers Jause krönender Abschluss einer eindrucksvollen Literatour sind.
„Und auf dem Tisch, als wär‘ er ein „Tischlein-deck-dich“, steht plötzlich die hergebrachte Zuckmayer-Jause, wie man sie mir immer vorsetzte, wenn ich gegen Abend, von der Arbeit oder einem langen Überlandweg, auf eine Dämmerstunde hereinkam: rosig durchwachsener Bauernspeck, ein Doppelstamperl mit klarem Obstler, ein kühles Bier im zinnbedeckelten Seidl, ein Stück Mondseer Käs, – das frische Schwarzbrot muss vom Göpfringer sein oder aus der Brechmühle, der Birnenschnaps vom Gaussner, der Speck von der wirtseigenen Räucherkammer, die Salamischeibe echt ungarisch vom Haindl in Salzburg, und es erfüllt mich ein ungeheueres, ein sagenhaftes und zeitloses Behagen“.
Eberhard Gravenstein
Infos:
Tourismusverband Henndorf am Wallersee,
Hauptstraße 65, A-5302 Henndorf am Wallersee,
Tel. 0043-6214-6011, Fax 0043 – 6214-8277,
e-Mail: tourist-info.henndorf(at)aon.at
Am 27.Dezember 1896 in Nackenheim am Rhein geboren. Abitur in Mainz, Kriegsfreiwilliger (Leutnant) an der Westfront, kurzes Studium der Geistes- und Naturwissenschaften in Frankfurt a.M. und Heidelberg. Als Bühnen-Autor Durchbruch mit dem „Fröhlichen Weinberg“ 1925 in Berlin, Kleist-Preis. 1928 „Der Schinderhannes“ , 1933 Aufführungsverbot durch die Nationalsozialisten. Zuvor schreibt er das Drehbuch für den Film „Der blaue Engel“ mit Marlene Dietrich. Weitere Höhepunkte: „Der Hauptmann von Köpenick“ (1930), „Des Teufels General“ (1946 in Zürich). 1955 erhielt er das Große Bundesverdienstkreuz mit Stern. 1966 Veröffentlichung der Lebenserinnerungen „Als wär’s ein Stück von mir“ (S.Fischer-Verlag).
Leseempfehlung fürs Kopfkissen, zugleich sinnvolle Vorbereitung für einen Besuch in Henndorf:
Die „Henndorfer Pastorale“, Erzählungen von einem Fest zu Ehren der Rückkehr Zuckmayers nach Henndorf 1970. Schmunzelige, auch besinnliche Erzählungen von der Wiederbegegnung mit seinem österreichischen Heimatort, mit Freunden und Nachbarn (Residenz Verlag). Zuckmayer schrieb das kleine Buch als Dank für den freundlichen Empfang, und weil er es dem Bürgermeister so versprochen hatte.